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Ulrike Ottinger zum Geburtstag

Foto Ulrike Ottinger

Ulrike Ottinger feierte am 6. Juni 2022 ihren 80. Geburtstag. Mit dieser kleinen Filmreihe wollten wir das einzigartige Schaffen dieser großartigen Filmemacherin, Fotografin und Autorin würdigen.
Schon als wir 1991-1997 in der Achtermannstraße das cuba-kino machten, war sie eine unserer Lieblingsregisseur*innen. Zum einen ist sie handwerklich brilliant – in der Regel war sie für Buch, Regie, Kamera und Ausstattung verantwortlich. Zum anderen waren ihre Filme von Beginn an immer queer – wie wir heute sagen würden.

Hier geht’s zu ihrer Homepage.

Paris Calligrammes

Mosaik aus Text, Bild, Ton und Musik über die Bohème der 60er

Ulrike Ottinger, die in den 60er Jahren als junge Malerin in Paris lebte, verwebt ihre persönlichen Erinnerungen an die Pariser Bohème und die gravierenden sozialen, politischen und kulturellen Umbrüche der Zeit zu einem filmischen „Figurengedicht“ (Kalligramm). In einem dichten Strom aus akustischem und visuellem Archivmaterial, verknüpft mit eigenen künstlerischen und filmischen Arbeiten, lässt sie Saint-Germain-des-Prés und Quartier Latin mit ihren Literatencafés und Jazzkellern, die Begegnung mit Vertretern des jüdischen Exils, das Zusammenleben mit ihren Künstlerfreunden, die Gedankenwelt der Pariser Ethnologen und Philosophen, die politischen Umwälzungen des Algerienkrieges und des Mai 68 und das Erbe der kolonialen Zeit wieder aufleben.

„Ich folgte den Spuren meiner Heldinnen und Helden“, erzählt Ottinger, „und wo immer ich sie fand, werden sie in diesem Film erscheinen.“ Text und Bild, Ton und Musik fügen sich zu einem Mosaik, aus dem die Lebensfülle dieser Periode und die Brüchigkeit aller kulturellen und politischen Errungenschaften spricht.

Deutschland/Frankreich 2019 · R, Db & K: Ulrike Ottinger · ab 12 J. · 135′

Mo 6. Juni 2022 • 10:45 Uhr im Cinema (kleiner Saal)

Plakat Paris Calligrammes

Freak Orlando

Queeres Welttheater: Reisen durch Raum, Zeit und Geschlecht
An Virginia Woolfs Roman „Orlando. Die Geschichte eines Lebens“ (1928) und Todd Brownings Filmklassiker „Freaks“ (US 1932) angelehnter, experimenteller Spielfilm. In fünf Episoden sieht man die Hauptfigur, den „Freak“ Orlando Zyklopa, in fünf Epochen der Geschichte: in der Antike, im Mittelalter, im 18. Jahrhundert, um 1900 und im späten 20. Jahrhundert. Wie die Romanfigur kann Orlando sein Gesicht wechseln, nach dem Tod wiedergeboren werden und in verschiedenen Jahrhunderten leben, ohne merklich zu altern.
 
»Das Werk von Ulrike Ottinger ist bis heute eine Ausnahmeerscheinung im deutschen Kino. Ihre in den 1970er und 1980er Jahren entstandenen Spielfilme waren damals schon „queer“ im besten Sinne: nicht nur in ihrer Motivik, sondern auch in ihrem unbändigen Formenreichtum über Gattungsgrenzen und Erzählkonventionen hinweg. … Seine üppigen Arrangements in bizarren Stadt- und Industrielandschaften bergen Irritation und Abgründigkeit, stets aber auch Komik. Ob Eddie Constantine als stürzender Säulenheiliger mit Neon-Herz, die heilige Bartfrau Wilgeforte am Kreuz oder der narzisstische Hermaphrodit über seinem Spiegelbild inmitten einer Kohlegrube: Die ebenso verspielten wie auratischen Bilder von FREAK ORLANDO bleiben eingeschrieben in die Filmgeschichte und in die Köpfe derer, die ihn sehen.« (Natalie Lettenewitsch
Deutschland 1981 · R, Db & K: Ulrike Ottinger • Mit Magdalena Montezuma, Delphine Seyrig, Galli Müller, Eddie Constantine, Else Nabu u.a. · ab 16 J. · 126′

Mo 13. Juni 2022 • 20:45 Uhr im Cinema (kleiner Saal)

Plakat Freak Orlando
Ulrike Ottinger zum Geburtstag
Ulrike Ottinger feierte am 6. Juni 2022 ihren 80. Geburtstag. Mit dieser kleinen Filmreihe wollten wir das einzigartige Schaffen dieser großartigen Filmemacherin, Fotografin und Autorin würdigen.
Schon als wir 1991-1997 in der Achtermannstraße das cuba-kino machten, war sie eine unserer Lieblingsregisseur*innen. Zum einen ist sie handwerklich brillant – in der Regel war sie für Buch, Regie, Kamera und Ausstattung verantwortlich. Zum anderen waren ihre Filme von Beginn an immer queer – wie wir heute sagen würden.
 
Alle Filme stehen hier.

Vier kurze Filme von Ulrike Ottinger

Berlin, die sieben Totsünden, eine Groteske und Jack Smith

USINIMAGE (1987, 10 Minuten): »Aus den Berlin-Filmen ausgewählte Industrie- und Stadtlandschaften wurden für USINIMAGE nochmals dokumentarisch aufgenommen und mit den entsprechenden Spielfilmszenen unterschnitten, um dieselbe Landschaft durch künstlerische Verfremdung und Verdichtung neu akzentuieren. Eine Auseinandersetzung mit der Stadtarchitektur, in der der Drehort nicht nur als Folie dient, sondern selbst mit zum Inhalt wird.« (Ulrike Ottinger)

SUPERBIA – DER STOLZ (1986, 16 Minuten): Ein Triumphzug und ein Totentanz. »Superbia, die Hoffart oder Stolz, zieht zu ihrer Hochzeit mit der Welt, die Peitsche in der einen, den Spiegel in der anderen Hand. Sie, die erste der christlich-mittelalterlichen Todsünden und Wurzel aller übrigen, lenkt ein auf Wolken daher-kommendes Gefährt, auf dem die Gesellschaft der Mächtigen thront, ein siebenköpfiger Olymp flitterhafter Karnevalsfiguren. Ottingers so überquellende wie exakt kontrollierte Phantasie verschmilzt den Bilderreichtum der Zeiten und Kulturen zu einer modernen filmischen Allegorie.« (Karsten Visarius)

DAS EXEMPLAR (2002, 19 Minuten): „Und in diesem Schrank“, sagte der Museumsleiter, „befindet sich etwas in der gesamten UdSSR Einmaliges, etwas in seiner Art höchst Seltenes: das Exemplar eines Spießers aus dem Jahre 1905.“ Ein zaristischer Beamter der zwölften Rangstufe – der Spießer – findet sich in der frühen Sowjetunion wieder, nachdem er, vor der Revolution versehentlich verhaftet, in tiefste Ohnmacht und schließlich in lethargischen Schlaf fällt. Als er nach zwanzig Jahren erwacht, versteht er die Welt nicht mehr. Aber ein Spießer findet immer seinen Weg.

STILL MOVING (2009, 29 Minuten): Produziert im Auftrag des Arsenal Instituts für das Festival „LIVE FILM! JACK SMITH! Five Flaming Days in a Rented World“. »An einem Ort fern und nah leben Dinge durch die Erinnerung und die Bedeutung, die Menschen ihnen geben. Mein Fundus an Objekten steht dem nicht weniger realen Fundus meines Gedächtnisses in nichts nach. Sie animieren sich gegenseitig und bringen immer wieder Neues und Unerwartetes zu Tage. Es ist, als ob man dem wechselvollen Spiel seiner Gedanken mit seinen unendlichen Verknüpfungspunkten während des Entstehens zuschaut.« (Ulrike Ottinger)

Mi 22. Juni 2022 • 18:30 Uhr im Cinema (kleiner Saal)
 

Exil Shanghai

Sechs Lebensläufe deutscher, österreichischer und russischer Juden, die sich im gemeinsamen Fluchtpunkt Shanghai kreuzen

Aus Erzählungen, Fotos, Dokumenten und neuen Bildern aus der größten und widersprüchlichsten Metropole des Fernen Ostens wird ein Ganzes, in dem das historische Exil aktuelle Brisanz gewinnt. Langsam und vorsichtig nähert sich der Film der Stadt wie ein Reisender vom Meer, betrachtet den Hafen, bleibt an europäisch anmutenden Fassaden hängen, lange Einstellungen von Märkten, Stadtverkehr; einer Suppenküche. Er berichtet von einer gegenwärtigen Abwesenheit, die zarte Spuren hinterlassen hat – die der Juden in Shanghai. Fragment einer Stadtgeschichte, über die sich sowohl die chinesische Geschichtsschreibung als auch die der Diaspora bislang ausgeschwiegen haben.

Ottinger lässt sie wiedererstehen, indem sie Menschen reden lässt, ihnen viel Zeit für die persönliche und allgemeine Geschichte gibt. Drei Wellen jüdischer Zuwanderung hat Shanghai erlebt: eine kaufmännische im 19. Jahrhundert durch die Sephardim und zwei der Flucht vor osteuropäischen Pogromen und dem deutschen Völkermord. Heute sind sie erneut vertrieben; manche schon durch die japanische Okkupation in den vierziger Jahren, die restlichen durch die chinesische Rückeroberung in den Fünfzigern.

Deutschland 1997 · R, Db & K: Ulrike Ottinger · 275′ mit Pause

So 26. Juni 2022 • 17:00 Uhr im Cinema (kleiner Saal)

Plakat Exil Shanghai