Chile: 50 Jahre nach dem Putsch
Am 11. September 1973 putschte das Militär unter General Pinochet gegen die demokratisch gewählte Regierung von Salvador Allende.
Die Junta unter Augusto Pinochet regierte Chile daraufhin bis zum 11. März 1990 als Diktatur. Unter anderem der US-amerikanische Geheimdienst CIA war in den Putsch und die Vorbereitung involviert. Auch nach dem Putsch unterstützten die USA den Diktator Pinochet und hielten zu der undemokratischen Regierung. Die Zahlen der Todesopfer variieren sehr stark zwischen 1.200 und 30.000. Dazu kommen Opfer von Folter, Verschleppung, Zwangsadoptionen …
Bis heute sind die Wunden der Diktatur in der chilenische Gesellschaft vorhanden. Täter*innen laufen ohne Strafverfolgung frei herum, Verbrechen wurden nicht aufgeklärt, Opfer bleiben verschwunden. Einen gesellschaftlichen Konsens über die Verbrechen gegen die Bevölkerung ist nicht vorhanden, die zu einer eindeutigen Verurteilung des Geschehen und zu der Entwicklung einer freien, demokratisch gesicherten Gesellschaft führen.
Wir zeigten in der Vergangenheit schon mehrfach Filme zu diesem Thema. 50 Jahre nach dem Putsch wollen wir mit drei Filmen den Blick auf die Zeit nach der Diktatur richten.
Geographies of Solitude
Die Natur auf Sable Sands vor der Küste Kanadas
Zu einem Zeitpunkt, an dem die Umweltkrise dringlicher ist als je zuvor, glaube ich mit ganzem Herzen daran, dass das Kino einen Beitrag zum Heilungsprozess zwischen den Menschen und der Natur leisten kann.
Jacquelyn Mills
Seit Jahrzehnten lebt Zoe Lucas überwiegend alleine auf Sable Island, einer rauen Insel vor der Ostküste Kanadas. Lucas‘ Studien zur Biodiversität haben sie zu einer geschätzten Expertin gemacht. Die Regisseurin begleitet sie und dokumentiert, wie Lucas jedes Detail des Lebens auf der Insel intensiv studiert – auch und immer mehr die kontinuierlich angeschwemmten Mengen an Müll. Unablässig sammelt die autodidaktische Wissenschaftlerin ihn ein und säubert, sortiert und katalogisiert die Fundstücke für eine Langzeitstudie über die Entwicklung der Verschmutzung des Nordwestatlantiks. Mills hält diese akribische Arbeit auf 16-mm fest und experimentiert dabei selbst mit innovativen, umweltfreundlichen Filmtechniken. Wissenschaft und Kunst verschmelzen in den Aktivitäten der beiden Frauen und bereichern sich gegenseitig.
Auszug aus der Begründung der Caligari-Filmpreis-Jury: „Ein schillernder Käfer, der sich seinen Weg durch die Sanddünen ertastet, die sanften Bewegungen der Gräser im Wind, ein strahlender Sternenhimmel ohne den Lichtsmog der Stadt: Jacquelyn Mills’ lyrische 16-Millimeter-Filmaufnahmen öffnen unsere Sensibilität für den Beziehungsreichtum der materiellen Welt. Sie lässt unsere Sinne teilhaben am Werden und Vergehen des Lebens und zieht uns hinein in das komplexe Zusammenspiel einer Ökologie. Der Film begleitet die Forscherin Zoe Lucas, die seit vielen Jahren allein auf der sonst unbewohnten Sable Island vor der Küste Kanadas lebt und mit großer Hingabe die Spuren jedes Lebewesens dokumentiert. Ebenso verzeichnet sie rigoros die Belastung der Umwelt durch Plastikmüll, der in erschreckenden Mengen an die Ufer der Insel gespült und von der Forscherin in minutiöser Arbeit aufgelesen wird. Dabei schafft Mills mehr als ein intimes Porträt, sie erforscht zugleich in experimenteller Weise die Empfindsamkeit des filmischen Materials im Kontakt mit seiner Umgebung. In diesen außergewöhnlichen Figurationen von Erfahrung wird eine unaufdringliche Schönheit spürbar, die zur Verantwortung für die Welt aufruft.“
Kanada 2022 · R & K, S: Jacquelyn Mills · mit Zoe Lucas · ab 0 J. · 103′
Mi 25. Januar 2023 • 18:30 Uhr im Cinema (kleiner Saal)

Jacquelyn Mills
Regie, Drehbuch, Kamera, Schnitt, Produzentin
Geboren 1984 in Sydney, Nova Scotia, Kanada. Sie studierte Film und arbeitet als Regisseurin, Kamerafrau, Editorin und Sounddesignerin. Nach dem mittellangen Film In the Waves (2017) ist Geographies of Solitude ihr Langfilmdebüt.
Filmografie
2017 In the Waves (Dokumentarfilm) · 2017 Leaves (Kurzfilm) · 2013 For Wendy (Kurzfilm)
Auf der Homepage von Discover Halifax findet man elf interessante Fakten zu Sable Island. Zum Beispiel ist noch immer ungeklärt, wie die rund 500 Wildpferde auf das 42 Kilometer langen Eiland kamen. Weitere Informationen zum Natinalpark findet man auf der Homepage des Sable Island National Park Reserve.
Festivals & Auszeichnungen 2022
- Berlinale Forum – Caligari-Filmpreis & CICAE Art Cinema Award & Preis der Ökumenischen Jury
- Hot Docs, Toronto, Kanada – Bester Kanadischer Feature Film & Earl A. Glick Preis für die beste aufstrebende Regiesseurin
- Jeonju International Film Festival, South Korea – Großer Jurypreis im Int. Wettbewerb
- Las Palmas de Gran Canaria International Film Festival, Spain – CIMA Auszeichnung für den besten Film
- Vilnius Film Festival, Lithuania
- Art of the Real, New York, USA
Mi Pais Imaginario – Das Land meiner Träume
Chile im Aufbruch?
Eines Tages und ohne Vorwarnung, brach eine Revolution aus. Es war das Ereignis, auf das der Dokumentarfilmer Patricio Guzmán sein ganzes Leben lang gewartet hatte: anderthalb Millionen Menschen auf den Straßen von Santiago de Chile, die Gerechtigkeit, Bildung, Gesundheitsversorgung und eine neue Verfassung forderten, welche die strengen Regeln ersetzen sollte, die dem Land während der Militärdiktatur Pinochets auferlegt worden waren.
MI PAÌS IMAGINARIO zeigt aufwühlende Aufnahmen von Protesten an vorderster Front und Interviews mit engagierten Aktivistenführer*innen und stellt auf eindrucksvolle Weise eine Verbindung zwischen der komplizierten und blutigen Geschichte Chiles, den aktuellen revolutionären sozialen Bewegungen und der Wahl eines neuen Präsidenten her.
„Wie war es möglich, dass ein ganzes Volk siebenundvierzig Jahre nach Pinochets Putsch in einem so genannt sozialen Aufstand erwachte, einer richtiggehenden Rebellion, gar einer Revolution? – Für mich war es ein Rätsel. Also ging ich diesem Geheimnis nach und filmte, wie es sich auf die Stimmung, die Luft, die Emotionen und Gefühle der Menschen in meinem Land auswirkte.“ (Patricio Guzmán)
Frankreich/Chile 2022 · R & Db: Patricio Guzman · K: Samuel Lahu • Mit Youssef Suleiman Mohammed, · keine Angabe J. · span.OmU · 83′
Mo, 11. und Di, 12. September 2023 • 18:15 Uhr im Cinema (kleiner Saal) mit anschl Gespräch mit Isabel Lipthay, chilenische Journalistin, Autorin & Musikerin

Patricio Guzmán
Regie, Drehbuch, Kamera, Schnitt, Produzentin
Geboren 1941 in Santiago de Chile.
Studium der Geschichte und Philosophie an der Universidad de Chile und in den Jahren 1963 bis 1966 am Filminstitut der Katholischen Universität von Chile.
Danach ging er nach Madrid und schloss dort an der Escuela Oficial de Cine mit der Prüfung als Filmregisseur ab.
Guzmán wurde praktisch Chronist der Diktatur und filmischer Widerstandskämpfer gegen Pinochet.
Filmografie (Auswahl)
· 1971: Primer Año
· 1972: La Respuesta de octubre
· 1975: La Batalla de Chile: La Insurrección de la burguesia (Der Aufstand der Bourgeoisie)
· 1977: La Batalla de Chile: El golpe de estado (Der Staatsstreich)
· 1979: La Batalla de Chile: El poder popular (Die Macht des Volkes)
· 2004: Salvador Allende
· 2010: Nostalgia de la Luz (Nostalgie des Lichts)
· 2015: El botón de nácar (Der Perlmuttknopf)
· 2019: La Cordillera de los suenos
Haydee und der fliegende Fisch
Der Fall Haydee Oberreuter
1975 wird die damalige Widerstandskämpferin gegen die diktatorische Junta Haydee Oberreuter und ihre einjährige Tochter verhaftet.
Vier Geheimdienstagenten der chilenischen Marine folterten die schwangere Frau so stark, dass sie ihr ungeborenes Kind verlor.
Oberreuter erzählt, wie die ehemaligen Geheimdienstagenten, nachdem ihre Folter für den Schwangerschaftsabbruch gesorgt hatte, ihr mit einem Messer den Körper aufschnitten, um ihr noch weiteren möglichst großen Schaden zuzufügen. „Doch das hat mir weder Angst eingejagt noch Schmerzen bereitet, sondern mir die Kraft gegeben, mich der Diktatur entgegenzustellen. Deshalb habe ich für Gerechtigkeit für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen gekämpft, die während der Militärdiktatur begangen wurden“, sagt sie.
Die Dokumentation erzählt die Geschichte der Verurteilung von vier ehemaliger Geheimdienstagenten. Es war seinerzeit das erste Urteil wegen Folter an einer Schwangeren in Chile gewesen. Der Prozess zwischen Oberreuter und der Marine dauerte 10 Jahre. Das Gericht entschied damals zugunsten der chilenischen Menschenrechtsaktivistin.
„Die chilenische Regisseurin Pachi Bustos hat diesen Film gedreht, um einen Teil meiner sehr persönlichen Geschichte in Bildern zu erzählen“, sagt Oberreuter. Oberreuter hatte ihre Erlebnisse während der Militärdiktatur erst der chilenischen Journalistin Alejandra Matus erzählt. Der Anwalt Vicente Bárzana war von ihrer Geschichte so bewegt, dass er, ohne Oberreuter zu kennen, Anzeige wegen Verbrechen gegen die Menschheit stellte.
„Chile steht bei einer ganzen Generation in der Schuld. Im Gegensatz zu anderen Ländern des Conosur wurde in Chile nie nach den Kindern gesucht, die Opfer der Diktatur wurden“, hob Oberreuter hervor.
Haydee y el pez volador · Chile/Brasilien 2019 · R: Pachi Bustos · Db: Pachi Bustos, Paola Castillo · spanOmeU · 76′
Mi, 11. Oktober 2023 • 18:15 Uhr im Cinema (kleiner Saal)

Pachi Bustos
ist eine chilenische Filmregisseurin und Drehbuchautorin.
Sie studierte Journalismus an der Universidad Diego Portales.
Bustos hat bei mehreren chilenischen Dokumentarfilmen Regie geführt und ist vor allem für Cuentos sobre el futuro bekannt, einen Film, für den sie 2012 beim SANFIC-Festival und 2013 mit dem Pedro-Sienna-Preis für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde.
Filmografie (Regie)
- 2019: Haydee y el pez volador
- 2012: Cunetos sobre el Futuro
- 2007: Ángeles negros (Co-Regie mit Jorge Leiva)
- 2004: Actores secundarios (Co-Regie mit Jorge Leiva)
- 2000: Video sombra: de la galaxia a la modelo
NN
Aus dem Exil in die Heimat
Von der Kamera begleitet begibt sich Tahirović zurück an die vertrauten Plätze, gräbt nach verblassten Kindheitserinnerungen und bewegt sich zugleich als Fremder durch die Stadt, deren Gerüche und Geräusche ihn im Schlaf heimsuchen: Umgeben von den Spuren der Vergangenheit versucht der Filmemacher, das heutige Zusammenleben in Foča zu verstehen. Er zeichnet die Geschichte seiner Flucht nach und sucht damalige Zwischenstationen auf, die in der von Wäldern umgebenen Gebirgsregion teils nur noch als Ruinen existieren. Dabei begegnet er Verwandten und Menschen, die seine Familie beherbergt hatten: Dagebliebene, die von schmerzlichen Verlusten erzählen und aufgewühlt von traumatischen Erinnerungen an den Krieg ratlos verstummen.
Konfrontiert mit aufkommenden Ängsten des eigenen verdrängten Kriegstraumas teilt Tahirović seine Gedanken über einen Off-Text, der sich wie eine rahmende Folie über die Bilder legt. Eine „Selbstfindungsreise“, so beschreibt es der Vorspann.
(Katalogtext, jk)
»Dieser Film ist die Wiederentdeckung meiner verdrängten und schmerzhaften Vergangenheit. Er ist eine Selbsttherapie durch künstlerische Aufarbeitung eines Teils meiner Biografie, zu dem ich keine Gefühle mehr hatte. Er ist die Wiederfindung meiner Seele, die ich wegen zu viel Schmerz und Überforderung aufgeben musste, damit ich überleben kann. Er ist eine Versöhnung mit der Vergangenheit und die Wiederverbindung zu den Wurzeln, die mir vor langer Zeit in meiner Kindheit gewaltsam ausgerissen wurden.«
Ervin Tahirović, TEXT DIAGONALE 2018
Österreich 2017 · R & Db: Ervin Tahirovic · K: David Lindinger · o.A. · dt und bosnOmU · 80′
Mi 22. November 2023 • 18:30 Uhr im Cinema (kleiner Saal)

Ervin Tahirović
Regie
Geboren in Foca, Serbien.
Festivals & Auszeichnungen
- 2022: This Human World
- 2017 Sarajevo Film Festival
- 2017 Diagonale – Festival des österreichischen Films
- 2018 Österreichisches Filminstitut /Film Festival Kitzbühel:
Beste Regie Österreich